Der Satz von Lusin (nach Nikolai Nikolajewitsch Lusin) ist ein mathematischer Satz aus der Maßtheorie. Er besagt, dass der Definitionsbereich einer messbaren Funktion so eingeschränkt werden kann, dass die Funktion auf dieser Einschränkung stetig ist und dabei die vom Definitionsbereich entfernte Menge „beliebig klein“ sein darf.
Lusin lieferte den Beweis dieses Satzes im Jahr 1912, nachdem der Satz 1903 von Émile Borel zunächst angedeutet und von Henri Lebesgue mathematisch formuliert worden war.
Aus der Definition des Lebesgue-Maßes folgt sofort, dass jede stetige Funktion messbar ist. Am Beispiel der Dirichlet-Funktion
welche alle rationalen Zahlen auf 1 und alle irrationalen Zahlen auf 0 abbildet, sieht man, dass es messbare Funktionen gibt, welche in keinem Punkt stetig sind. Der Satz von Lusin zeigt nun, dass eine messbare Funktion „fast stetig“ ist. Was unter „fast stetig“ zu verstehen ist, geht aus dem Satz hervor.
Im Folgenden bezeichnet das Lebesgue-Maß.
Sei eine messbare Menge mit . Sei eine messbare und beschränkte Funktion, so gibt es zu jedem eine kompakte Menge mit derart, dass die Einschränkung stetig ist.
Es ist möglich, die Aussage noch zu verschärfen: Sei messbar und messbar. Dann gibt es zu jedem eine Menge mit und eine stetige Funktion , die auf mit übereinstimmt.
Es scheint ein Widerspruch zu obigem Beispiel zu bestehen, wenn man und betrachtet, denn die Funktion ist in keinem Punkt aus stetig. Man beachte aber, dass der Satz von Lusin nicht behauptet, dass die Funktion in jedem Punkt aus stetig ist. Er besagt vielmehr, dass eine andere Funktion, nämlich die Einschränkung , in jedem Punkt aus stetig ist.
Um das für obige Funktion zu demonstrieren, sei eine Abzählung der rationalen Zahlen in . Zu vorgegebenem setze . Dann enthält die Vereinigung dieser Mengen alle rationalen Punkte, sie ist relativ offen mit Maß kleiner als , und auf dem kompakten Komplement ist die Funktion konstant 0, das heißt, ist die Nullfunktion und daher stetig.
Der Satz von Lusin gilt nicht nur für Funktionen auf messbaren Mengen im . Er lässt sich auch auf reellwertige Funktionen lokalkompakter Räume verallgemeinern:
- Sei ein Maßraum, wobei lokalkompakt, eine σ-Algebra auf , die die Borelmengen umfasst, und ein reguläres Maß sei. sei eine -messbare Funktion.
- Dann gibt es zu jedem mit und zu jedem eine kompakte Menge mit , so dass stetig ist.
In der Situation dieses Satzes kann man sogar eine stetige Funktion mit kompaktem Träger finden, so dass .
Da als beschränkte, messbare Funktion zu gehört und da die stetigen Funktionen in diesem Raum dicht liegen, gibt es eine Folge stetiger Funktionen, die in der -Norm gegen konvergiert. Indem man zu einer Teilfolge übergeht, kann man annehmen, dass außerhalb einer Menge vom Maß 0 punktweise Konvergenz vorliegt. Nach dem Satz von Jegorow liegt dann gleichmäßige Konvergenz außerhalb einer Menge vom Maß kleiner als vor, und diese Menge kann wegen der Regularität des Lebesgue-Maßes als offen angenommen werden. Das Komplement ist dann kompakt, und auf konvergiert die Folge gleichmäßig. Daher ist die Grenzfunktion stetig.
Sei -messbar wie im Satz und . Im Folgenden zeigen wir, dass es kompakte Mengen und eine Folge stetiger Funktionen gibt, welche auf gleichmäßig gegen konvergieren. Falls dann noch gilt, dass ist der Satz bewiesen. Zunächst konstruieren wir die . Für alle überdecken wir den Bildraum dafür mit disjunkten Borelmengen mit maximalem Durchmesser also:
Dann wird von den (insbesondere messbaren) Urbildern abgedeckt: .
Da von innen regulär ist, können wir die Urbilder von innen durch kompakte Mengen annähern, also:
Durch -subadditivität folgt:
Durch Stetigkeit von Oben folgt weiter (da ):
Also wir definieren nun , welche als endliche Vereinigung kompakter Mengen kompakt sind. Da als Schnitt kompakter Mengen kompakt ist und da erfüllt es die Anforderungen aus dem Satz.
Wir konstruieren nun die auf gleichmäßig gegen konvergente Folge stetiger Funktionen . Dafür nehmen wir für alle ein festes und definieren falls . Die sind stetig, da sie auf den Zusammenhangskomponenten der konstant sind.
Gleichmäßige Konvergenz bleibt zu zeigen: Sei und wähle so groß, dass , dann ist und weil auch
folgt somit . Analog folgt . Als gleichmäßiger Grenzwert stetiger Funktionen ist stetig.
- Nikolai Lusin: Sur les propriétés des fonctions mesurables. In: Comptes Rendus de l'Académie des Sciences de Paris. Bd. 154, 1912, S. 1688–1690, Digitalisat.
- Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1.